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Drecksarbeit erst ab 18

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Wer für die Wikimedia Foundation als Helfer arbeitet und dadurch Zugriff auf nichtöffentliche Daten, die von der Privacy Policy geschützt werden, bekommen hat, muss ab jetzt älter als 18 Jahre und in seinem Land voll strafmündig sein. Das besagt ein neuer Beschluss des Wikimedia Vorstands, der Mitte April erlassen wurde.

Betroffen davon sind Stewards, Checkuser-Berechtigte, Serveradministratoren und Helfer im OTRS, d.h. Leute, die E-Mails an info@wikipedia.de beantworten.

Checkuser-Berechtigte sind Benutzer, die IP-Adressen von angemeldeten Benutzern überprüfen können. Die Serveradministratoren kümmern sich rund um die Uhr darum, dass die Server funktionieren. Alles Aufgaben, für die es wenig Dank und viel Gemecker gibt, und die dennoch wichtig sind. Diese Leute sollen jetzt einen Volljährigkeitsnachweis, beispielsweise eine Kopie des Personalausweises oder des Führerscheins, in die USA zur Wikimedia-Foundation schicken. Die USA, das Land, in dem Datenschutz unbekannt ist.

Ich selber werde einige meiner Rechte abgeben müssen. Schade für mich, da es vorrangig die Rechte betreffen wird, die momentan den Großteil meiner Aktivität ausmachen. Letztendlich schießt sich die Wikimedia Foundation damit jedoch selbst ins Bein, denn es werden einige sehr fähige und wirklich aktive Leute gehen müssen — die Arbeit bleibt dann auf anderen liegen.

Persönlich habe ich weniger mit dem Verlust meiner Rechte ein Problem, als mit der der Entwicklung, die die Wikimedia Foundation eingeschlagen hat. Es macht mir einfach keinen Spaß mehr, für eine Stiftung zu arbeiten, die mir nur vertraut, wenn sie meine persönlichen Daten hat. Für Leute, die bisher ihre Identität hinter ihrem Benutzernamen verstecken konnten und trotzdem an sehr hohe Positionen gekommen sind, mag das noch ein größeres Problem sein, da sie jetzt plötzlich der Foundation ihren Realnamen bekannt geben müssen. Der Wunsch nach Anonymität im Internet ist völlig nachvollziehbar und sollte akzeptiert werden — vorallem, da ja immer groß rumgetrötet wird, dass bei uns jeder bearbeiten kann, auch ohne Anmeldung.

Die Gründe, die zu dem Beschluss geführt haben, dass alle diejenigen, die Zugang zu sensiblen Daten haben, älter als 18 sein und ihre Identität nachweisen müssen, sind dabei durchaus nachvollziehbar und lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Wenn jemand klagt, möchte man die Daten rausgeben können. Oder wenn etwas leckt, möchte man klagen können, aber das darf man nicht sagen.

Trotzdem bin ich nicht damit einverstanden, meine persönlichen Daten dafür anzugeben. Es gibt mehrere, hoch angesehene Wikipedianer, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben und in relevanten Positionen sind. Ich bin gespannt, ob die Community damit einverstanden ist, dass diese Leute aufgrund ihres Alters vertrieben werden.

Was genau man als Identitätsnachweis hinschicken muss oder wie sichergestellt ist, dass beispielsweise der Scan des Personalausweises wirklich der eigene ist, sind übrigens nur einige der Fragen, auf die man offiziell nur die Antwort “abwarten, Details arbeiten wir noch aus” bekommt. Einen seriösen Eindruck macht das nicht gerade. Der Beschluss wurde bereits am 11. April 2007 gefasst, heute, am 1. Mai, wird die Community darüber informiert. Warum wird jetzt angefangen, intern über die Detail nachzudenken, wenn der Beschluss schon seit mehreren Wochen vorliegt? Und vorallem, warum wird erst der Beschluss gefasst und dann nachgedacht, nicht andersherum?

Derweil glänzt Cary Bass, der Mann, der die einzureichenden Daten der Freiwilligen koordinieren soll, mit fehlender Fachkompetenz. Auf die Frage, ob die Foundation oder er einen GnuPG-Schlüssel besäßen, mit der man die E-Mails an ihn und die Altersnachweise verschlüsseln könne, antwortete er nur: “what?” Jetzt soll ich solchen Leuten meine Daten anvertrauen? Nein, danke. Und wenn er sich bei mir meldet, werde ich ihn vielleicht bitten, mir nachzuweisen, dass er wirklich der richtige ist — schließlich kann sich ja jeder als Carry Bass ausgeben.

Rühmlich ist die ganze Geschichte für die Foundation jedenfalls nicht. Es werden viele fähige, fleißige Leute, mit denen die Welt leider nicht allzu gut bestückt ist, verdrängt, dafür muss jetzt jeder seinen Realnamen und einiges mehr angeben. Sicherlich ist es unrealistisch und überspitzt, aber wenn man in diese Richtung weiterdenkt, muss sich vielleicht in einiger Zeit jeder Autor identifizieren — er könnte ja gesetzeswidrige Dinge schreiben.

Dieser Artikel wurde am 1. Mai von Leon Weber verfasst. Leon ist ein bekannter und sehr aktiver Wikipedianer, unter anderem der Vater von WikiCharts und der Visualisierungen der Wikipedia Request Stats. Leon ist noch keine 18 Jahre alt.


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